Europa geht endlich mit dem Gesetz zum Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit gegen selbige vor.
Man sollte meinen, dass Sklaverei der Vergangenheit angehört, doch weit gefehlt. Nehmen wir zum Beispiel Turkmenistan, den weltweit zehntgrößten Baumwolllieferanten mit einem äußerst repressiven Regime – ein Land, das sich extrem abschottet und nur selten in den Medien auftaucht. Die Regierung zwingt jedes Jahr Zehntausende von Menschen aus dem privaten und öffentlichen Sektor von August bis Dezember auf die Baumwollfelder.
Ein Betroffener ist Ruslan Myatiev, der darüber berichtete: „Lehrkräfte und Ärzte werden unter Androhung verschiedenster Strafen bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes gezwungen, Baumwolle zu pflücken, bis auch die letzte Pflanze abgeerntet ist. Sie werden wie Vieh auf offenen Kleinlastern oder Traktoranhängern aufs Feld befördert. Dort angekommen, müssen sie 20 bis 30 Kilo Baumwolle pflücken, und zwar im Schnitt an drei Tagen in der Woche.“
Myatiev lebt derzeit in den Niederlanden, wo er Asyl erhalten hat und Turkmen.news betreibt, ein unabhängiges, investigatives Nachrichtenportal. „Die Regierung behauptet, dass die Baumwolle von Maschinen und Freiwilligen geerntet wird, doch das ist eine Lüge. Die Geheimpolizei versucht, unsere Beobachter mundtot zu machen. Sie fabrizieren Strafverfahren gegen sie und stecken sie für Jahre ins Gefängnis.“
Gegenwärtig befinden sich weltweit rund 28 Millionen Menschen in den Händen von Menschenhändlern oder Staaten, die sie zwingen, unentgeltlich oder für einen Hungerlohn für sie zu arbeiten. Zwölf Prozent davon sind Kinder. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO werden jährlich 217 Milliarden Euro illegal durch Zwangsarbeit verdient, 37 Prozent mehr als vor zehn Jahren.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie, ohne es zu wissen, ein T-Shirt aus Baumwolle tragen, das aus Zwangsarbeit herrührt, ist hoch. Falls die Baumwolle nicht aus Turkmenistan stammt, könnte sie aus der chinesischen Region Xinjiang kommen, wo über zwei Millionen Menschen, hauptsächlich Uiguren, Zwangsarbeit droht. Sie werden zu arbeitsintensiven Tätigkeiten gezwungen, wobei es nicht nur um das Pflücken von Baumwolle geht, sondern auch um die Herstellung von Spielwaren, Möbeln, elektronischen Geräten oder die Verarbeitung von Polysilizium.
Wie gelangen die in Zwangsarbeit hergestellten Waren in europäische Geschäfte? Baumwollgarn aus Turkmenistan wird von einigen EU-Ländern wie Polen oder Italien importiert, häufig taucht es jedoch in den Lieferketten von Markenherstellern auf, die ihre Produkte über Drittländer wie die Türkei, China sowie Pakistan in die EU verkaufen.
Wir können nicht dulden, dass europäische Marken und Firmen darin verwickelt sind. Wir sollten uns aber keine Illusionen machen – Zwangsarbeit gibt es überall, auch in der Europäischen Union. Nach Angaben der ILO waren 2018 die meisten der hiesigen 1,3 Millionen Opfer von Zwangsarbeit Personen aus anderen EU-Ländern.
Wir haben nun die historische Chance, der modernen Sklaverei nicht nur in der EU, sondern rund um den Globus den Kampf anzusagen. Am Dienstag stimmte das Europäische Parlament über das erste europäische Gesetz ab, das es verbietet, Produkte aus Zwangsarbeit auf den EU-Markt zu bringen. Die USA und Kanada haben bereits entsprechende Rechtsinstrumente.
Für Sozialdemokraten ist dies ein Grund zum Feiern. Wir haben ein robustes Instrument, mit dem die Kommission Verdachtsfällen von Zwangsarbeit außerhalb der EU nachgehen kann, während die zuständigen Behörden in den 27 EU-Ländern Verdachtsfälle innerhalb der EU untersuchen. Falls sich der Verdacht erhärtet, ordnen die Behörden an, die betreffenden Produkte vom europäischen Markt zu entfernen beziehungsweise an der Grenze zu beschlagnahmen. Danach werden sie gespendet, recycelt oder vernichtet.
Alle Firmen müssen das Verbot umsetzen, falls in ihrer Lieferkette Zwangsarbeit entdeckt wird. Dies ist eine gute Nachricht für alle Firmen, die unlauterem Wettbewerb durch Firmen ausgesetzt sind, die sich Zwangsarbeit bedienen.
Wir müssen für eine gute Umsetzung des Gesetzes sorgen. Die EU-Kommission benötigt Ressourcen, um Untersuchungen in Drittländern durchzuführen. Die Kooperation mit internationalen Partnern wird unerlässlich sein, um Akteure, deren in Zwangsarbeit hergestellte Produkte in einem Land verboten sind, daran zu hindern, diese woanders zu verkaufen.
Maria-Manuel Leitão-Marques ist Europaabgeordnete der sozialdemokratischen S&D-Fraktion, Bernd Lange ist ebenfalls Europaabgeordneter der S&D-Fraktion.