Angeführt von der Sozialdemokratischen Fraktion verabschiedete das Europäische Parlament heute drei Berichte über die wirtschaftspolitischen Prioritäten der EU für 2016 und forderte dazu auf, einen Schlussstrich unter die einseitige Austeritätspolitik und ihre konservativen Reformen zu ziehen.

Eine große Mehrheit des Parlaments hat anerkannt, dass Europa inmitten einer weltweiten Konjunkturabschwächung eine stärkere Binnennachfrage braucht, vor allem durch höhere Investitionen in Innovation, die Qualifikation von Menschen und die effizientere Nutzung der natürlichen Ressourcen – die Schlüssel für künftiges Wachstum. Europas Binnenmarkt mit über 500 Millionen Menschen kann eine solide Quelle für Wohlstand sein, leidet aber unter Jahren der Investitionsschwäche und geschmälerter Haushaltseinkommen.

Das Parlament hob hervor, dass speziell die Länder mit den höchsten Außenhandelsüberschüssen es sich leisten können, die Inlandsinvestitionen zu verstärken und die Löhne rascher anzuheben. Die öffentlichen Haushalte sollten innerhalb der geltenden Regeln voll ausgeschöpft werden, um die Investitionen zu verstärken, die gestiegenen Sicherheitsbedrohungen zu bewältigen und auf die Flüchtlingskrise zu reagieren.

Die Europaabgeordneten forderten außerdem die Mitgliedsstaaten auf, Reformen durchzuführen, die sozial verantwortlich sind, auf Solidarität basieren und auf die Verringerung der sozialen Ungleichheiten ausgerichtet sind – einschließlich neuer, schlagkräftiger Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung.

Die für Wirtschaft und soziale Angelegenheiten zuständige Vizevorsitzende der S&D Fraktion und Hauptverhandlungsführerin des Parlaments für die wirtschaftspolitischen Prioritäten, Maria João Rodrigues, sagte dazu:

„Europa braucht koordinierte Anstrengungen aller Mitgliedsstaaten, um höheres Wachstum zu erreichen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu verbessern. Weniger wettbewerbsstarke Länder müssen in höhere Produktivität investieren, statt durch immer billigere Arbeitskraft und die Kürzung öffentlicher Dienstleistungen zu konkurrieren.

Gleichzeitig sollten in den leistungsstärkeren Ländern die Ersparnisse der Unternehmen und die verfügbaren Spielräume in den öffentlichen Haushalten besser genutzt werden, um durch stärkere Investitionen und höhere Löhne die Inlandsnachfrage anzuregen.

Die Eurozone ist eine große Volkswirtschaft, die entsprechend geführt werden muss. Es ist schlecht für das Wachstum und die Beschäftigung, wenn die Eurozone ständig zu hohe Außenhandelsüberschüsse aufweist und dem Rest der Welt riesige Mengen Geld leiht, während sie den Investitionsbedarf innerhalb Europas vernachlässigt und die Zunahme der Ungleichheit zulässt.

Die Eurozone muss sich um eine Konvergenz nach oben bemühen, wobei wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Indikatoren die gleiche Bedeutung beigemessen werden muss. Eine höhere Binnennachfrage bei weniger Ungleichheit wird höheres Wachstum bringen. Dadurch können Unternehmen leichter investieren, und die Gesamtwirtschaft kann ihre Altschulden leichter tilgen.

Zudem muss Europa seine Strategie für langfristiges, nachhaltiges Wachstum endlich in die Praxis umsetzen. Zahlreiche Reformen sind notwendig, dabei sollte aber die Qualität der Bildung, Innovation, eine moderne öffentliche Verwaltung und eine effizientere Nutzung der natürlichen Ressourcen im Vordergrund stehen. Darum sollte es bei der europäischen Wirtschaftspolitik gehen, und nicht um endlose Budgetkürzungen, die Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen oder weniger Arbeitnehmerschutz.

Mit diesem Bericht hoffen wir, europaweit eine echte demokratische Debatte über die Gestaltung der Wirtschaftspolitik in Gang zu setzen. Das Europäische Semester muss ein demokratischer Prozess werden, der alle beteiligten Akteure einbezieht, und nicht nur eine technokratische Übung.“

Der S&D Fraktionssprecher für das Thema Beschäftigung und soziale Prioritäten im Europäischen Semester, Sergio Gutiérrez Prieto, fügte hinzu:

„Wir fordern eine gerechte wirtschaftliche Erholung, die hochwertige Jobs schafft, Ungleichheiten verringert und Armut und gesellschaftliche Ausgrenzung bekämpft, denn Investitionen in gesellschaftliche Entwicklungen sollten nicht nur ein Mittel sein, um nachhaltiges und integratives Wachstum zu erreichen, sondern ein spezifisches Ziel an sich darstellen.

Wir müssen die schlimmen Folgen der durchgeführten Arbeitsmarktreformen korrigieren, denn die geschaffenen Arbeitsplätze sind hauptsächlich durch prekäre Jobs, Sub-Beschäftigung und unfreiwillige Teilzeitarbeit entstanden.

Die Sozialdemokratische Fraktion fordert eine vertiefte Integration der Eurozone, die die soziale Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion stärkt, und zwar mit stärkerer demokratischer Rechenschaftspflicht, besseren Grundlöhnen in Form von Mindestlöhnen und einem starken Pfeiler für soziale Rechte.“

Die S&D Fraktionssprecherin für die jährlichen Prioritäten für den Binnenmarkt, Catherine Stihler, fügte hinzu:

„Der Schlüssel für die Erschließung des vollen Potenzials des Binnenmarktes, geschätzte eine Billion Euro, ist die Durchsetzung und Durchführung der geltenden EU-Rechtsvorschriften in unseren Mitgliedsstaaten.

Eine bessere Regierungsführung und mehr Transparenz im Integrationsprozess sind unerlässlich, um in unserem einflussreichen Binnenmarkt von 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern für Beschäftigung, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen.

Durch die Überwindung unnötiger nichttarifärer Hindernisse, die ordnungsgemäße Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie und der Vorschriften im Bereich öffentliches Beschaffungswesen und Konzessionserteilung sowie die Modernisierung der öffentlichen Verwaltungen durch einen besseren Zugang zu digitalen Dienstleistungen können wir das Ende der EU-weit stagnierenden Entwicklung des Binnenmarktes sehen.“

Für weitere Informationen siehe: Unabhängiger Jahreswachstumsbericht 2016.