Vor der Präsentation des Entwurfs des Jongerius/Radtke-Berichts über angemessene Mindestlöhne in der EU im Beschäftigungsausschuss des Europäischen Parlaments heute um 16:45 Uhr sagte die sozialdemokratische Europaabgeordnete und Verhandlungsführerin des Europäischen Parlaments für Mindestlöhne, Agnes Jongerius:

„Derzeit verdient jeder und jede sechste Angestellte in Europa nicht genug, um über die Runden zu kommen. Obwohl sie eine harte 40-Stunden-Woche arbeiten, können Beschäftigte ihre Miete, ihr Essen und ihre Kleidung nicht bezahlen. Unter diesen arbeitenden Armen sind auch die Millionen von Arbeiterinnen und Arbeitern, die unsere Gesellschaften während der Covid-19-Pandemie über Wasser gehalten haben. Dafür riskieren sie ihre Gesundheit und sogar ihr Leben. Die Krankenschwestern, die sich um unsere Kranken kümmern, die Landarbeiter, Lieferfahrer und Verkäufer, die dafür sorgen, dass wir Lebensmittel auf unserem Tisch haben, das Kinderbetreuungspersonal, das unsere Kinder unterrichtet, die Pflegekräfte, die sich in unseren Gemeinden um ältere Menschen kümmern, Müllwerker und Reinigungskräfte, die hygienische Bedingungen gewährleisten. Unverzichtbar, aber unterbewertet und unterbezahlt – das ist die Situation vieler unserer Covid-19-Helden und -Heldinnen. Das muss sich ändern. Arbeit muss sich wieder auszahlen.

Es ist Zeit für Respekt und angemessene Löhne. Jeder europäische Arbeitnehmer und jede europäische Arbeitnehmerin verdient es, einen Lohn oberhalb der Schwelle des Anstands zu verdienen – 60% des medianen Lohns und 50% des Durchschnittslohns. Wir akzeptieren keine Produktivitätskriterien, Steuern oder Unterstützungleistungen als Teil der Berechnungen für den als Mindestlohn festgelegten Betrag. Keine Arbeitnehmerin und kein Arbeitnehmer sollte gezwungen sein, auf Steuersenkungen oder Sozialleistungen zurückzugreifen. Wenn man Vollzeit arbeitet, muss der Lohn für einen angemessenen Lebensstandard ausreichen.

Eines der wichtigsten Prinzipien dieser Richtlinie ist die Gleichbehandlung der Arbeiter und Arbeiterinnen. Supermarktregalstapler, die nebeneinander arbeiten, verdienen es, gleich entlohnt zu werden. Wir müssen daher Unterschieden und Abzügen ein Ende setzen, die dazu führen, dass den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen Gehälter unter dem Mindestlohnniveau gezahlt werden. Der Sinn des Mindestlohns besteht schließlich darin, menschenwürdige Löhne zu garantieren, die sicherstellen, dass alle Arbeitnehmer Lebensmittel auf ihren Tisch bringen und ein Dach über dem Kopf haben können.

Der beste Weg, um die Armut trotz Erwerbstätigkeit zu beenden und menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, sind Tarifverhandlungen. Alle Mitgliedsstaaten sollten daher eine tarifvertragliche Deckungsrate von 90% anstreben. Wir müssen uns höhere Ziele setzen. Einerseits müssen wir die Gewerkschaftsfeindichkeit bekämpfen, andererseits müssen die Mitgliedsstaaten durch ihr öffentliches Beschaffungswesen Kollektivverhandlungen massiv fördern, was auch zu einer Erhöhung der tarifvertraglichen Deckungsrate führt. Eines muss von Anfang an klar sein: Tarifverhandlungen werden von Gewerkschaften geführt und von niemandem sonst.“

Hinweis für die Redaktion:

Diese Richtlinie wird einen Rahmen für faire Mindestlöhne in Europa schaffen, aber weder einen gemeinsamen europäischen Mindestlohn festlegen noch Mitgliedsstaaten, die keine gesetzlichen Mindestlöhne haben, dazu zwingen, diese einzuführen. In Artikel 1 des Kommissionsvorschlags heißt es eindeutig: „(2) Diese Richtlinie berührt nicht die Entscheidung der Mitgliedsstaaten, gesetzliche Mindestlöhne festzulegen oder den Zugang zum tarifvertraglich garantierten Mindestlohnschutz zu fördern. (3) Diese Richtlinie verpflichtet die Mitgliedsstaaten, in denen der Mindestlohnschutz ausschließlich tarifvertraglich geregelt ist, weder zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns noch zur flächendeckenden Einführung von Tarifverträgen.

Die Kommission hat am 28. Oktober 2020 ihren Vorschlag für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union vorgelegt. Der Jongerius/Radtke-Bericht soll im September 2021 im Beschäftigungsausschuss des Europäischen Parlaments zur Abstimmung gelangen. Der Bericht wird den Standpunkt des Parlaments für die Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten über die Richtlinie darstellen.

Die Präsentation des Berichts können Sie hier verfolgen.

 

Beteiligte Abgeordnete
Delegationsleiterin
Koordinatorin
Niederlande
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